Freitag, 6. Juli 2007

Mein erster richtiger Ironman


Am Sonntag, dem 01.07.2007 nahm ich an meinem ersten Ironman teil. Ein Jahr zuvor hatte ich zwar schon eine Langdistanz bestritten, aber keine, die den Namen Ironman trägt. Diese Langdistanz in Roth hatte ich 2006 sehr gut überstanden. Mein Ziel war damals nur durchkommen. Dieses Jahr steckte ich mein Ziel natürlich etwas höher: die Zeit von Roth (11:37:49) wollte ich gerne schlagen. Ich glaubte aber nicht richtig daran, dass ich es schaffen könnte.

Meine Vorbereitungen liefen insgesamt recht zufriedenstellend. Die Angst zu wenig trainiert zu haben, kam dennoch auf. Gerade die letzten Tage vor dem Wettkampf musste ich immer wieder daran denken, dass mir einige lange Einheiten fehlten. Immer wenn wir uns eine lange Radtour (RTF) vorgenommen hatten, spielte das Wetter nicht mit. Aber egal - jetzt konnte ich eh nichts mehr dran ändern.

Ich ließ den Tag kommen. Mal abwarten, was er bringen würde. Die Zeichen standen gut. Wir hatten extremes Glück mit dem Wetter. Wochen vorher war es sehr warm. Die Befürchtungen, dass ohne Neo geschwommen werden muss, wurden immer stärker. Idealerweise kühlte es in der Woche vor dem Wettkampf merklich ab. Die Wassertemperatur sank. Jetzt musste ich nur fürchten, dass mir mit nassen Klamotten auf dem Rad zu kalt werden könnte. Egal. Anziehen kann man immer noch etwas. Erstaunlicherweise war gerade der Sonntag relativ schwül bei bewölktem Himmel. Was will man mehr: Wärme ohne von der Sonne gebraten zu werden. Ideal.

So beginnt unser längster Tag des Jahres unter den besten Voraussetzungen.
Spontan sind wir in einem Hotel in Frankfurt untergekommen und lassen uns von einer Freundin an den Langener Waldsee fahren. Dort kommen wir wegen Stau zwar recht knapp an, aber die Zeit reicht gerade noch, um alles zu richten - für unnötige Gedanken und Nervosität reicht sie nicht mehr. Ich packe meinen Wechselbeutel zusammen, gebe ihn beim entsprechenden Lastwagen ab und ... ja, und suche meinen Freund Ritchy. Wir haben uns zwar schon flüchtig verabschiedet, aber ich will ihn gerne noch mal in den Arm nehmen, und ihm alles Gute für den Wettkampf wünschen. Wir werden uns ja stundenlang nicht mehr sehen. Unter den 2200 in schwarz gekleideten Neoprenfiguren kann ich ihn nirgends entdecken, obwohl ich den Weg von der Wechselzone bis zum Einstieg ins Wasser mehrmals hoch und runter laufe. Kein Ritchy. Schade. Jetzt bin ich fast die Letzte. Also beeile ich mich, ins Wasser zu kommen. Ich schwimme ein paar Züge, um mich an die kalte Nässe zu gewöhnen, die langsam in meinen Anzug fließt. Nur noch 5 Minuten. Ich reihe mich – Bernies Horrorgeschichten im Hinterkopf – ziemlich weit hinten mit etwas Platz um mich herum ein. Etwas Warten und dann fällt der Startschuss. Das Feld setzt sich in Bewegung. Ich lass einige an mir vorbei ziehen und versuche in meinen Schwimmrhythmus zu gelangen. Bis zur ersten Wende bei ca. 800 m rechne ich mit einigen „Zusammenstößen“. So ist es auch – aber nicht nur bis dahin. Immer wieder – auch auf den letzten 800 m - spüre ich mal eine Hand / Faust auf dem Arm, am Kopf, auf der Wade. Die Nasenklammer wird mir weg getreten, die Brille geflutet. Ist es Absicht oder nur Folge der Nervosität? Ich weiß es nicht. Ich bin nur froh, als ich den ersten, 3.8 km langen Part, meine schlechteste Disziplin nach 1:22 beendet habe.

Zügig aber nicht zu schnell laufe ich den mit Teppichen ausgelegten Weg zum Wechselzelt hoch, ziehe meinen Neoprenanzug aus und will schnell auf ein Dixi-Klo rennen. Von wegen schnell – weit gefehlt. Hier stehen nur vier Dixis und drei Wartende. Also muss ich mich erst mal in Geduld üben und mich hinten anstellen. Es hilft alles nichts. Hier sind wir Frauen einfach im Nachteil. Jede Rast auf der Strecke wäre sicherlich zeitaufwendiger.

Am Rad angekommen, trockne ich mir gründlich meine Zehen ab und versuch die Sandkörner zu entfernen. Ich will jetzt schon Socken anziehen und diese beim Lauf anbehalten. Eine Blase will ich mir später allerdings auch nicht zuziehen. Nach geraumen 8 min verlasse ich die Wechselzone und rolle mich gemütlich auf dem Weg nach Frankfurt ein. Schön! Endlich Rad fahren! Ich genieße die gesperrte Strecke und versuche mich auf diesen Part zu konzentrieren. Etwas trinken und essen kommt sicherlich gut. Ich zwinge mich eher dazu. Oh, da überholt mich schon ein Bekannter - Micha. Ein paar nette Worte, ich lasse ihn von dannen ziehen. Die ersten 90 min will ich betont langsam fahren und achte auf meinen Puls. Nur nicht zu schnell anfangen. Es geht nach Frankfurt rein, dann raus nach Bergen Enkheim. Endlich befinde ich mich auf bekannter Strecke. Die Route führt von Bergen Enkheim, über Maintal und Bad Nauheim (nördlichster Punkt) zurück nach Bad Vilbel. Im Training bin ich diesen Abschnitt zweimal mit meinem Freund Ritchy abgefahren. Hier kenne ich mich also ein wenig aus und weiß, mit welchen Anstiegen ich zu rechnen habe. Nur zwei sind mir nennenswert im Gedächtnis geblieben: einmal der Anstieg „The Hell“ in Maintal-Hochstadt. Hier wird man auf dem Kopfsteinpflaster ordentlich durchgeschüttelt und kann froh sein, wenn man keine Trinkflasche verliert. Die Partystimmung dort lässt die Passage bei weitem nicht so schlimm erscheinen, wie sie mir in Erinnerung geblieben ist. Die andere Steigung befindet sich in Bad Vilbel – also schon am Ende der ersten Runde. Hier auf dem „Heartbreak-Hill“ ist ebenfalls eine Menge los. Man muss aufpassen, sich nicht zu sehr von der Masse tragen zu lassen und diesen nicht gerade kurzen Anstieg langsam genug hoch zu fahren. Schließlich wartet noch eine komplette Runde auf uns. In der zweiten Runde wird es windiger. Ich bemühe mich, mich auf meinem Rad klein zu machen und freue mich, dass ich es nun richtig laufen lassen kann. Es läuft gut. Ich überhole viele, viele Leute, werde aber natürlich auch überholt. Ich erkenne einen Bekannten und grüße ihn nett, als ich an im vorbei ziehe. An der Strecke sehe ich hier und dort ein paar Freunde stehen und freue mich über ihre anfeuernden Zurufe. Die Zeit verfliegt im Nu. Nach 5:38 Std. Radzeit komme ich in der Wechselzone an. Dies entspricht genau der Zeit, die ich mir für die 180 km vorgestellt hatte.

Das Rad wird mir abgenommen, ich besuche kurz das Dixi, bekomme meinen Wechselbeutel gereicht und ziehe mich um. Etwas irritiert brauche ich lange, um meine Sachen zu sortieren. Jemand der mir beim Anreichen / Einräumen hilft ist leider nicht zur Stellen. Nach mir unglaublich lang vorkommenden 5 min gehe ich auf die Laufstrecke.

Oh, nein! Was ist das? Kopfsteinpflaster soweit das Auge reicht! Zwar schön mit roten Teppich abgedeckt und beidseitig von tausenden Zuschauern umsäumt – aber dennoch fallen mir die ersten paar hundert Meter unheimlich schwer. Auf so unebenen Untergrund bin ich sicherlich noch nie gelaufen! So kommt es mir zumindest vor. Ich bewältige diese unwegsame Passage und versuche in mein Lauftempo zu kommen. Es wird besser. Schon sehe ich ein paar Freunde und meinen Trainingspartner Tom an der Strecke stehen, Ritchies Schwester, Schwager und Eltern. Ich frage, wo Ritchy sich befindet. Ist er jetzt vor oder hinter mir auf dieser 10,5 km langen Runde, die wir viermal durchlaufen müssen? Es gibt ein paar Umkehrpunkte bei denen wir uns sehen könnten. Mir wird gesagt, er wäre vor mir. Etwas erstaunt darüber, laufe ich weiter. Ich rechne mir keine Chance aus, ihn zu sehen. Sein Vorsprung wird zu groß sein. Ich laufe und fühle mich gut. Es läuft gut - fast zu gut. Ich bin schneller, als ich geplant hatte. Plötzlich bei km 3 oder 4 muss ich Ritchy überholt haben. Er schließt zu mir auf und sagt mir, dass er nicht laufen könne. Er habe Atemnot und müsse langsam machen. Ich solle mir keine Sorgen machen und meinen Wettkampf machen. Irritiert laufe ich ein Stück weiter. Was soll ich tun? Eine Freundin, unsere Betreuerin Anke fragt, ob ich etwas brauche. „Nein nicht ich, aber kümmere dich bitte mal um Ritchy.“ - „Ich habe ihn noch nicht gesehen. Wo ist er?“ - „Da, direkt hinter mir“ Ich zeige auf ihn. Sie geht zu ihm. Das ist gut. Er würde sich jetzt vermutlich eh nicht von mir helfen lassen. Da kenn ich meinen kleinen Sturrkopf doch ein wenig. Ein paar 100 Meter weiter sehe ich einen weiteren Bekannten, Ingo. Auch ihn bitte ich, nach Richy zu sehen. Er rennt sofort los. Ich bin etwas beruhigt, zwei Freunde bei ihm zu wissen. Sie werden ihm hoffentlich beistehen. Ich versuche weiter zu laufen und nicht ständig daran zu denken. Mehr helfen als die beiden kann ich sicherlich nicht. Der führende und erste Mann überholt mich. Wer ist es? Timo?! Ich feuere ihn an und freu mich mit ihm. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schön, es freut mich für den Eberbacher, der heute einen tollen Tag hat. Immer wieder muss ich an Ritchy denken. Was soll ich tun? Soll ich zurück laufen? Werde ich ihn finden? Ich bin mir unschlüssig. Plötzlich kommt er am nächsten Umkehrpunkt zu mir: er wäre im Sanizelt gewesen. Es wäre alles soweit in Ordnung. Er würde seinen Wettkampf durchziehen. Er müsse nur langsam machen. Das beruhigt mich ein wenig. Ich versuch mich weiter auf meinen Wettkampf zu konzentrieren. Es fällt mir nicht leicht. Zum Glück habe ich ein wenig Abwechslung. Der zweite Mann überholt mich. Schon wieder eine ganz unerwartete Person. Ich erkenne ihn nicht sofort von hinten. Es ist Michael Görner, der Newcomer dem ich gute Chancen ausgerechnet hatte. Schön für ihn. Meine erste Runde verfliegt wie im Flug. Es läuft gut, auch wenn ich zu schnell unterwegs bin. Ich fühle mich gut und laufe weiter. Bis km 15 – dann irgendwie ist der Motor aus. Es geht nicht mehr viel. Ich werde langsamer und quäle mich mit einem viel zu geringem Tempo über die Bahn. Naja, Einbruchsphasen kommen immer mal. Ich versuche sie hin zu nehmen und hoffe, dass sie schnell vorbei geht. Eine Runde quäle ich mich am Main entlang, es wird nicht besser. Auch in der nächsten Runde nicht. Okay. Ich muss es so nehmen, wie es ist und versuche zu laufen, solange es geht. Zumindest geht es noch und es erscheint mir effektiver als zu gehen. So geht es langsam weiter, Kilometer um Kilometer, Runde um Runde. Jetzt ist es nicht mehr weit. Ich bin schon beim 8. km Schild auf der vierten Runde. Also nur noch 2 + 2,195 km - also nur noch knapp viereinhalb Kilometer. Das ist doch zu schaffen!!! Aber nein, das stimmt ja gar nicht. Wir sind hier ja schon bei km 39,5. Also nur noch knapp 2,7 km. Ein Blick zur Uhr zeigt mir, dass es knapp wird, meine Zeit aus Roth zu unterbieten. Ich nehme alle Kräfte zusammen und versuche die mir verbleibende Strecke etwas schneller zu laufen. Viel ist nicht mehr drin. Nach einer Laufzeit von 4:24 Std. erreiche ich das Ziel und bin mit 11:37:53 Std. fast zeitgleich wie in Roth. Erst ein späterer Vergleich der Urkunden zeigt mir, dass ich 4 sec. (!) langsamer war, als bei meiner ersten Langdistanz.

Ich schleppe mich zur Wechselbeutelausgabe. Ich kann kaum noch gehen. Ich will aber an mein Handy und schauen, ob ich über Freunde an der Strecke mehr von Ritchy erfahren kann. Ich würde ja so gern zurück auf die Strecke und ihn anfeuern, aber bei mir geht nichts mehr. Ich habe jetzt schon einen schlimmen Muskelkater in den Oberschenkeln. Ich weiß nicht wo ich ihn suchen soll. Ich telefoniere rum. Nach unendlich langer Zeit erfahre ich, dass Ritchy auf seiner letzten Runde ist und bald im Ziel erwartet wird. Ich schleppe mich zum Zielkanal und warte mit Freunden auf ihn. Endlich kommt er. Ich kann ihn in meine Arme schließen. Ihm geht es soweit gut. Das ist das allerwichtigste. Alle Zeiten sind egal.

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